
Moulagen: Geschichte, Technik, Lehre und weiterführende Informationen
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Was sind Moulagen?
Moulagen sind dreidimensionale, naturgetreue Darstellungen krankhafter Körperregionen in Wachs. Sie werden durch eine Umkehrtechnik erstellt: Herstellung eines Negativs vom Körper, Ausgießen eines Positivs in Wachs. Danach wird die ausgelöste Wachsform wirklichkeitsgetreu mit Ölfarbe be- oder hintermalt, gegebenenfalls durch Haare, Glasaugen oder andere Materialien ergänzt, mit Leinen eingeschlagen und auf ein schwarzlackiertes Holzbrett aufgezogen.
Moulagen zeigen keinen normierten Krankheitszustand, sondern immer ein individuelles Krankheitsbild. Da sie primär Erkrankungen wiedergeben, die sich auf der Körperoberfläche abspielen, sind Moulagen verstärkt in jenen medizinischen Fachrichtungen entstanden, in denen sich Krankheitszeichen auf der Haut zu sehen sind, wie zum Beispiel die Dermatologie oder die Augenheilkunde.
Geschichte der Wachsbildnerei und Moulagenkunst
Die Wachsbildnerei (Keroplastik) entwickelte sich fortan zu einer eigenständigen Kunst. Diese Kunstfertigkeit, die sich in der Antike vor allem auf den religiösen (Votivwesen) und gedenkenden (Totenkult) Aspekt bezog, erhielt sich bis ins Mittelalter und die Renaissance hinein und wurde dann unter anderem um die Nutzung in der Wissenschaft erweitert. Leonardo da Vinci (1452 – 1519) beispielsweise war im späten 15. Jahrhundert einer der ersten, der Wachs verwendete, um die Anatomie zu studieren. Er goss Herz- und Hirnventrikel mit Wachs aus.
Im 17. Jahrhundert injizierte Frederik Ruysch (1638 – 1731), ein Amsterdamer Anatom, seinen Präparaten zur Darstellung der Blutgefäße gefärbtes Wachs in die Blutbahnen. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich in Florenz und Bologna die anatomische Wachsbildnerei. Ihr bekanntester Vertreter war Giulio Gaetano Zumbo (1656 – 1701), der in enger Zusammenarbeit mit Anatomen und Bildhauern anatomische Ganzkörperwachsfiguren in höchster Perfektion schuf, sowie in Detailstudien auf menschliche Schädelknochen ganze Köpfe in Wachs ausmodellierte.
Im 18. Jahrhundert entstanden ganze Serien von anatomischen Wachsmodellen, die in großen Sammlungen aufgestellt wurden und einen umfassenden Einblick in den menschlichen Körper ermöglichten. In Florenz wurden sie ab 1775 im "Reale Museo della Fisica e Storia Naturale", genannt "La Specola", gezeigt, das zu deren Anfertigung eigene Werkstätten besaß. Von den Wachsmodellen begeistert, kaufte Kaiser Joseph II. im Jahr 1780 1.192 Wachsmodelle für die zukünftige Medizinisch-chirurgische Akademie in Wien. Dort wurden sie sowohl für Studenten als auch für die Öffentlichkeit aufgestellt. Erste idealisierte Darstellungen an der Grenze zwischen Anatomie und Pathologie zeigen die geburtshilflichen Wachsmodelle in diesen Sammlungen, die bis heute unter anderem in der Wiener Sammlung des Josephinums zu sehen sind.
Vereinzelt und parallel zum steigenden Interesse an der Pathologie entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts erste Moulagen als Darstellung krankhafter Körperregionen. Die ersten Pioniere der Moulagenkunst arbeiteten jedoch unabhängig und ohne gegenseitiges Wissen voneinander: Franz Heinrich Martens (1778-1805) in Jena, Joseph Towne (1806-1879) in London und Anton Elfinger (1821-1864) in Wien. Sie schufen erste Krankenbilder in Wachs, mit ihrem Tod jedoch wurde die Produktion an den jeweiligen Orten zunächst wieder eingestellt.
Schlüsseldatum für die Moulagen ist das Jahr 1889. Auf dem ersten internationalen "Congress für Dermatologie und Sypholographie" in Paris wurden Teile der über 2.000 Stücke umfassenden Sammlung des Pariser Mouleurs Jules Pierre Francois Baretta (1834-1923) gezeigt. Die Objekte stießen bei dem internationalen Fachpublikum auf großes Interesse und sie trugen die Idee, Krankheitszeichen in Wachs zu bannen in die ganze Welt. Zahlreiche Sammlungen entstanden in der Folgezeit an den medizinischen Zentren. Vor allem in der Dermatologie und Venerologie, der Augenheilkunde, Kinderheilkunde, Gerichtsmedizin und in der Chirurgie wurden fachspezifische Moulagen hergestellt.
Große, zumeist universitäre Kliniken hatten für diese Zwecke eine/n eigene/n Mouleur/Moulerin angestellt. Eine spezielle Ausbildung gab es nicht, meistens kamen die Mouleure und Mouleurinnen aus dem kunsthandwerklichen oder bildhauerischen Bereich. Die spezielle Technik der Moulagenherstellung wurde, wenn überhaupt dann nur selten vom Meister an einen geeigneten Schüler weitergegeben.
Moulagen blieben bis in die 1940er Jahre hinein ein weit verbreitetes Lehr- und Studienobjekt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde aufgrund des hohen Pflegeaufwands und durch die Konkurrenz der Farbdiafotografie auf die Erhaltung und Restaurierung von Sammlungen verzichtet. In Deutschland gingen zahlreiche Bestände schon im Zweiten Weltkrieg verloren. Die Moulage verschwand zunehmend aus dem Lehrbetrieb und wanderte in Keller und Depots.
Seit den 1990er Jahren werden Moulagen zunehmend als kultur- und medizinhistorisches Studienobjekt sowie als museales Schaustück entdeckt und in unterschiedlichen Kontexten präsentiert. In die Lehre kommen sie vereinzelt als Demonstrationsobjekte wieder zum Einsatz. Nur an wenigen Orten waren sie die ganze Zeit über für Studenten zugänglich. Neuerdings werden Anstrengungen unternommen, erhaltene Bestände zu restaurieren. Die Nutzung in der Lehre nimmt zu und mancherorts werden wieder neue Moulagen angefertigt.
Technik: Wie werden Moulagen hergestellt?




Grundsätzlich unterscheidet man zwei Bearbeitungsmöglichkeiten von Wachs: Vom Bossieren oder Modellieren spricht man, wenn man einen Gegenstand frei in der Art eines Bildhauers formt. Wird zuerst eine Negativform hergestellt und diese dann mit Wachs ausgegossen, spricht man vom Moulieren oder Moulagieren. Klassischerweise wurde beim Moulieren seit frühester Zeit für die Anfertigung des Negativs Gips verwendet. Durch seine hervorragenden Eigenschaften als feinzeichnendes Abformmaterial hat er sich über viele Jahrhunderte bewährt. Seit der Entwicklung von Kunststoffen konnte man auf neue flexible Abdruckmaterialen zurückgreifen, die verbesserte Eigenschaften hinsichtlich der Verarbeitung und Haltbarkeit aufwiesen. Die Anzahl der Reproduktionen die aus einer Kunststoffform hergestellt werden konnten, waren sehr viel höher als die aus einer Gipsform.
Die Abformung und Retusche des Wachskörpers
Erhielt der Mouleur den Auftrag zur Abformung, führte er seine Arbeiten in seinem Atelier oder, je nach Schwere der Erkrankung und der damit verbundenen Bewegungseinschränkung, direkt im Zimmer des Patienten durch. Mit Blick auf die Kranken war sehr viel Einfühlungsvermögen gefragt, denn wenn man die moulierten Befunde betrachtet, ist es bei den meisten kaum vorstellbar, dass eine Abformung ohne Schmerzen einherging. Umso wichtiger war es, ein Vertrauensverhältnis zum Patienten aufzubauen. Jeder Handgriff musste sitzen. Wichtig war zuerst die Auswahl einer Körperregion die das Krankheitsbild gut darstellte. Der Patient musste eine entspannte Position einnehmen, denn die spätere Moulage sollte natürlich wirken. Danach trug der Mouleur den streichfähigen Gips direkt auf die betroffene Region auf. War die Region sehr groß oder hatte Hinterschneidungen, mussten mehrteilige Formen angefertigt und sogenannte Sprengfäden gelegt werden. Nur in seltenen Fällen wurde ein Trennmittel (Öl, Vaseline o.ä.), etwa bei starkem Haarwuchs, auf die Haut aufgetragen. Der Mouleur war bemüht, jedes kleinste Detail des Befundes so genau wie möglich im Negativ zu bannen. Nach Aushärtung der Form konnte sie behutsam abgenommen werden. Im Atelier wurde die Wachsmischung im Wasserbad erhitzt und mit in Terpentin gelösten Ölfarben oder Farbpigmenten eingefärbt, bis der Grundton des abgeformten Hautareals erreicht war. Das kurze Eintauchen der Gipsform in heißes Wasser unmittelbar vor dem Ausgießen mit Wachs erleichterte das Entformen des erkalteten Wachspositives. Noch bevor Veränderungen am Befund auftraten, musste die Moulage direkt am Patienten koloriert werden. Retuschierarbeiten, wie das Beseitigen von Trennlinien, kleineren Löchern oder Rissen, erfolgte mittels erwärmten Modellierspateln noch vor der Koloration.
Die Kolorierung und Montage auf dem Brett
Zur Darstellung der Hautfarbe und des Befundes etablierten sich zwei Methoden. Bei der "Übermaltechnik" trug man Ölfarbe auf das zuvor schon im Grundton eingefärbte Wachspositiv in mehreren dünnen Schichten von außen auf. Bei der "Untermaltechnik" wurde zuerst eine dünne Wachsschicht in das Gipsnegativ gegossen, um sie anschließend von innen her detailgetreu zu bemalen. Darauf folgte der Guss einer weiteren Wachsschicht, die wiederholt nach gleichem Schema bemalt wurde, solange bis das Wachs mindestens eine Stärke von 4-5 mm aufwies und entformt werden konnte. Diese Technik stellte höchste Anforderungen an das Können des Mouleurs. Aufgrund ihrer schwierigen und umständlichen Handhabung setzte sie sich allerdings nicht durch. Die Bemalung einer Moulage erfolgte ausschließlich bei Tageslicht, damit sich der Befund realistisch und naturtreu darstellte. Ausgedehnte Hautveränderungen wie Blasen oder Schuppen (Hauteffloreszenzen) und Haare wurden nachträglich eingesetzt. Nach der Fertigstellung wurde die Moulage auf einem Holzbrett befestigt. Mit wachsgetränkter Watte als Träger- bzw. Fütterungsmaterial wurde sie auf Nägel, die in dem Brett verankert waren aufgeschmolzen. Zuletzt erfolgte das Ummanteln der äußeren Gussränder mit einem Leinenstoff. Die Moulage wurde datiert, signiert und mit einem Diagnoseeintrag versehen.
Lehre an und mit Moulagen


Moulagen sind im 19. Jahrhundert als Lehrobjekte zu Demonstrationszwecken entstanden. Nicht immer hatten die jeweiligen Fachvertreter Patienten mit den im Unterricht vorgestellten Krankheiten in der Klinik parat oder Ausprägungen bestimmter Leiden waren bei den jeweiligen Patienten nicht deutlich genug sichtbar. An den dreidimensionalen Moulagen mit ihren form- und farbechten Wiedergaben konnten den Studenten bestimmte Symptome und Krankheitszeichen demonstriert werden. Besonders die Dreidimensionalität hat dabei einen in anderen Medien unerreichten Anschauungswert. Moulagen wurden in eigens angefertigten Schauschränken aufbewahrt und als Objekte im Unterricht verwendet. Ebenso wurden sie in Atlanten oder Lexika abgelichtet. Studenten lernten an den Objekten ohne zeitliche Einschränkung des genauer Beschreiben eines Krankheitsbildes – anders als bei Patienten, denen in der Regel nur eine bestimmte Zeit als "Demonstrationsobjekt" zugemutet werden konnte.
Mit Aufkommen der Farbfotografie, die vor allem die Vorteile eines unkomplizierteren Handlings, einer unaufwendigeren Anfertigung und einer nicht nötigen Betreuung mit sich brachten, wurde die Moulage aus dem Lehrbetrieb verdrängt. Viele Jahre waren sie fast völlig aus der Wahrnehmung verschwunden.
Seit den 1990er Jahren ist jedoch ein zunehmendes Interesse an den Objekten entstanden. Die Medizingeschichte hat sie als interessanten medizinhistorischen Gegenstand entdeckt, an Kliniken sind vereinzelt Bestände gesichtet und gesichert worden und auch die Lehre beginnt wieder Interesse an Moulagen zu entwickeln. In Tübingen werden sie für die Effloreszenzlehre in der Dermatologie verwendet und in Freiburg auch Prüfungen mit den Objekten durchgeführt. In Berlin werden für die Rechtsmedizin neue Moulagen angefertigt.
Linksammlung
Die Links zu den einzelnen Moulagensammlungen finden Sie jeweils unter Sammlungen.
The European Association of the History of Medicine and Health (EAHMH)
Universitätsmuseen und -sammlungen in Deutschland (Datenbank) ein Projekt des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin
Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland
Hebra-Atlas
"Atlas der Hautkrankheiten" von Ferdinand von Hebra aus dem Jahre 1856
Morbid Anatomy
Surveying the Interstices of Art and Medicine, Death and Culture.
Ansprechpartnerin
Medizinische Präparatorin, Konservatorin (Sammlung: Präparate, Modelle, Moulagen), Ausstellungskuratorin